Sehr geehrte Damen und Herren,
der NABU Schleswig-Holstein, hier vertreten durch die NABU Gruppe Heiligenhafen, lehnt die Bauvorhaben, wie sie nach den Entwürfen der B-Pläne Nr. 5, 84 und 95 auf dem Steinwarder vorgesehen
sind, ab. Der NABU empfiehlt dringend, auf eine Rodung und Überbauung des im Zentrum der Planbereiche stehenden Gehölzes (B-Pläne Nr. 5 und 95) und eines Teils seiner Randbereiche (B-Plan Nr. 84)
zu verzichten.
Das forstrechtlich als Wald eingestufte Gehölz hat sich nach einer vor Jahrzehnten vorgenommen Bepflanzung mit u. a. Sanddorn eigendynamisch und sehr strukturreich weiterentwickelt, bedingt durch
die unterschiedlichen Boden- und Feuchtigkeitsverhältnisse. Dabei sind menschliche Eingriffe wie Gestaltungs- und Pflegemaßnahmen, Nutzung als Spiel- oder Grillplatz, wie sie ansonsten für
inmitten von Siedlungskomplexen gelegene Gehölzinseln typisch sind, weitgehend ausgeblieben, so dass der äußerst naturnahe Charakter erhalten geblieben ist.
Während die Gehölzvegetation im südlichen und mittleren Teil auf eher nährstoffreichere Böden (Aufspülung) hinweist, wird sie nach Norden zunehmend schütter, bis sie auf dem sandigen, trockenen
Boden in einer Trockenrasenvegetation der dortigen Strandwallreste ausläuft. Eingesprengt sind teilweise mit Schilf durchwachsene Feuchtbereiche. Entsprechend dem kleinräumigen Wechsel der
Standortverhältnisse hat sich eine hohe Vielfalt an Baum- und Straucharten eingestellt, ebenso bei der niederen Vegetation. Auch die Strukturdiversität mit ihrem Mosaik an offenen und besonnten,
sowohl trockenen als auch feuchten Stellen, teilweise mit einem reichen Angebot an stehendem Totholz, bis hin zum geschlossenen Baumbestand mit entsprechendem Mikroklima ist extrem hoch.
In ihrem Vegetationsmuster vergleichbare Gehölzbereiche sind in Schleswig-Holstein äußerst selten geworden. Obgleich ursprünglich für die Ostseeküste als im Anschluss an Dünen oder Strandwall
typisch, sind solche und ähnlich Biotopformationen infolge v. a. der touristischen Überformung der Küste inzwischen auf kleinste Reste zusammengeschmolzen. Diese sind unbedingt zu bewahren.
In den (weitgehend gleichlautenden) Umweltberichten der vorliegenden B-Planentwürfe wird dem Gehölz einschließlich der nördlich angrenzenden Trockenflächen eine "mittlere bis hohe Biotopqualität"
zugestanden, gleichzeitig aber nur eine "durchschnittliche Bedeutung für die biologische Vielfalt" gesehen (z.B. Begründung zum B-Plan Nr. 5, S. 98). Dieser Einschätzung kann der NABU nicht
folgen. Um die tatsächliche Bedeutung dieser Fläche zu erfassen, sind fachlich fundierte Untersuchungen zu Flora und Fauna erforderlich, die jedoch nicht vorliegen. Die dürftigen, nur allgemein
gefassten Angaben z.B. zu Brutvögeln sind keinesfalls ausreichend.
Beispielsweise unter ornithologischen Aspekten weist das Gelände eine hohe Wertigkeit auf. So ist es bis vor wenigen Jahren noch Brutplatz des mit der Nachtigall eng verwandten (und ebenso
melodiös singenden) Sprossers gewesen. Bis zu drei Sänger sind hier jährlich festgestellt worden, im Hinblick auf die geringe Größe und die Verinselung des Gehölzes eine außerordentlich hohe
Siedlungsdichte, die auf die ökologische Qualität dieses kleinflächigen Lebensraums hinweist. Dass dieses Vorkommen mittlerweile erloschen ist, liegt nicht an der fehlenden Qualität des Gehölzes
als Brutgebiet, sondern ist ursächlich im seit längerem in ganz Schleswig-Holstein bei dieser Art zu beobachtenden Bestandsrückgang. Sollten die Bestände des Sprossers wieder zunehmen können, ist
das Vorhalten derartiger Bruthabitate eine Grundvoraussetzung. Gleiches gilt für den Karmingimpel, an der schleswig-holsteinischen Ostküste nur mit wenigen Paaren vertreten.
Dieses Beispiel zeigt, dass pauschale Aussagen wie: "Geschützte bzw. gefährdete Brutvogelarten sind nicht zu erwarten." (ebenda, S. 88) fachlich nicht gerechtfertigt sind. (Überdies ist
anzumerken, dass alle Singvögel naturschutzrechtlich zu den besonders geschützten Arten gehören.)
Außerdem greift die Beschränkung auf eine Bewertung nur der Brutvogelvorkommen eindeutig zu kurz, wie die beigefügte Stellungnahme des Dipl. Biologen Bernd Koop, Büro für Feldornithologie,
aufzeigt. Unter avifaunistischen Gesichtspunkten im vorliegenden Fall viel stärker zu beachten ist die Bedeutung des Gehölzes als Rasthabitat eines großen Spektrums an Kleinvögeln, hier
insbesondere während des Herbstzuges von Skandinavien über die 'Vogelfluglinie' in die Winterquartiere. Wie in dem Kurzgutachten dargelegt, können in einem derart reichhaltig strukturierten
Gehölz mit seinem hohen Nahrungsangebot (z.B. die Beerentracht des teilweise baumartig gewachsenen Weißdorns, Insekten) die Vögel nach dem Energie zehrenden Flug über die Ostsee wieder zu Kräften
kommen und sich gleichzeitig vor Witterungsunbilden schützen. Dafür suchen die Vögel solche unmittelbar an der Küste gelegenen Gehölze in großen Scharen auf. Der Erhalt von Rastplätzen, noch dazu
entlang einer international so bedeutsamen Vogelflugroute, ist auch naturschutzrechtlich ebenso geboten wie der Schutz der Brutplätze.
Der von der unteren Forstbehörde im Verhältnis 1 : 2 festgesetzte Waldausgleich ist zwar forstrechtlich begründet. Er gleicht aber in keiner Weise die mit der Rodung einhergehenden Verluste an
ökologischen Funktionen aus. Um eine entsprechende Kompensation gerade der Eigenschaft als Rastrefugium für durchziehende Singvögel tatsächlich gewähren zu können, müsste eine Ausgleichspflanzung
unmittelbar an der Küste im Umgebungsbereich von Heiligenhafen vorgenommen werden und ähnlich unterschiedliche Strukturen aufweisen. Diese entwickeln sich jedoch erst im Laufe von Jahrzehnten und
benötigen zudem entsprechende Bodenverhältnisse. Eine schlichte Ersatzwaldbildung kann diesem naturschutzfachlichen Anspruch selbst nach Jahren der Entwicklung nicht gerecht werden.
Wie im Umweltbericht richtig festgehalten, befinden sich im nördlichen Abschnitt der Planbereiche nach § 30 BNatSchG gesetzlich geschützte Biotopbereiche. Der Planung zufolge sollen diese zwar
weitgehend von der Bebauung ausgenommen werden. In der Realität wird das jedoch nicht zu gewährleisten sein. Denn sowohl während der Bauphase, erst recht aber im Zuge der touristischen Nutzung
des Geländes mit Freibad und Ferienquartieren, werden schädigende Einwirkungen wie intensives Betreten, gärtnerische Eingriffe usw. sich nicht ausschließen lassen, auch nicht durch die
vorgesehene Besucherlenkung mittels Steg. Um derartige Belastungen auszuschalten oder zumindest abpuffern zu können, sind die besagten Trockenflächen zu klein. Überdies würden sie noch stärker
als bisher isoliert werden und auch dadurch an ökologischer Bedeutung verlieren, zumal sie durch die gepflasterte Strandpromenade bereits vom Dünenstreifen getrennt sind.
Ähnlich belastet werden dürfte auch das sich nach Westen anschließende, laut Planung von Bebauung freizuhaltende Feuchtgebiet mit seinen Schilfröhrichten. Diese Fläche könnte zudem als Folge der
Überbauung der benachbarten Flächen mit großflächiger Versiegelung in seinem Wasserrregime gestört, d.h. trockener und damit in seinem gesetzlich geschützten Habitus erheblich beeinträchtigt
werden.
Trotz gegenteiliger Behauptungen scheint die Planung selbst in die nach § 30 BNatSchG gesetzlich geschützten Biotope einzugreifen. So findet sich etwa mittig im Gelände als Ausläufer des oben
genannten größeren Feuchtgebiets ein Schilfröhricht, welches nach der Planung überbaut und damit beseitigt werden soll. Auch ist im Zuge des B-Plans Nr. 5 (Parkdeck) anscheinend ein Eingriff in
das Trockenbiotop (Graudüne bzw. Strandwall) geplant. Für Eingriffe in diese § 30-Biotope ist eine naturschutzrechtliche Befreiung erforderlich. Die dafür notwendigen "Gründe des überwiegenden
öffentlichen Interesses" (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) liegen aber bei den hier vorgesehenen rein tourismuswirtschaftlichen Projekten nicht vor.
Dieses gilt nach Ansicht des NABU auch für das geplante Freibad. Zwar soll das Bad nicht nur den Hotelgästen, sondern auch der allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dafür befindet sich
der Standort allerdings soweit außerhalb der eigentlichen Ortslage Heiligenhafens, dass das Bad z.B. von den Schulen zum Schwimmunterricht nur mit längeren Fahrtzeiten erreichbar sein wird.
Abgesehen davon ist nach dem Sinn eines ohnehin nur bei sommerlichen Temperaturen zu nutzenden Freibads direkt am Ostseestrand zu fragen. Für das Freibad sollte deshalb nach einer
Standortalternative gesucht werden, wo es nicht nur günstiger angebunden, sondern auch mit keinen Eingriffen in wertvolle Lebensräume verbunden wäre.
Die geplanten Gebäude mit einer Höhe von bis ca. 15 m sowie das vorgesehene Parkdeck werden das bereits stark geschädigte Landschaftsbild des Steinwarders noch zusätzlich belasten. Das Gehölz hat
als Grünstruktur hingegen dazu beigetragen, die mit Blick vom alten Heiligenhafen über den Binnensee stereotyp und gesichtslos wirkende Silhouette des Steinwarders noch etwas aufzulockern. Diese
Funktion würde bei einer Rodung und 'Ersatz' durch weitere Gebäude entfallen. Auch aus dem Nahbereich betrachtet, wird sich der Verlust der 'grünen Insel', bisher eine auch aus der Perspektive
der Erholungssuchenden eine willkommene Unterbrechung der ansonsten fast durchgängigen und unterkühlten Gebäudephalanx, negativ bemerkbar machen. Vorgesehene Baumpflanzungen können diese Funktion
im Orts- und Landschaftsbild nicht ersetzen, sind auch unter ökologischen Gesichtspunkten nicht annähernd als Kompensation zu werten.
Außerdem möchte der NABU darauf hinweisen, dass das bezeichnete Gelände seinen Informationen nach offenbar als Ausgleichsfläche für andernorts vorgenommene Eingriffe benannt worden ist. Schon
allein dieses lässt auf den ökologischen Wert des Grünkomplexes schließen.
Fazit: Ein dringendes Erfordernis für weitere Tourismuseinrichtungen auf dem Steinwarder, schon gar nicht mit der Folge der kompletten Zerstörung eines wertvollen Stücks Natur, ist nicht
ersichtlich und lässt sich aus den Planunterlagen auch nicht schlüssig ableiten. Der NABU kann kein Verständnis für die Absicht der Stadt Heiligenhafen aufbringen, dass - nachdem innerhalb
weniger Jahrzehnte fast der gesamte Steinwarder zubetoniert worden ist - nun auch noch einer der letzten naturnahen Grünbereiche beseitigt werden soll, obgleich dieser durchaus von hoher
Bedeutung für den Naturschutz als auch die Auflockerung des Siedlungsgebiets ist. Der NABU schlägt vor, auf Fortführung der Planungen für die vorgesehenen Bauprojekte zu verzichten und das
betroffene naturnahe Gelände mitsamt dem angrenzenden Feuchtgebiet als "Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft" gemäß § 9 Abs. 1. Nr. 20
BauGB auszuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Klaus Dürkop